Aus der Schule geplaudert

Gereimtes und Ungereimtes
von der, über die und aus der Oberschule


Besuch in der Oberschule Anno Domini 1956

Dramatisches Epos in 50 Strophen
Pause nach der 25. Strophe

1.
Kommt einmal ein Wandersmann
in der Salzstadt Staßfurt an,
will er im Vorübergeh'n
Sehenswürdigkeiten seh'n.

2.
Geht zuerst zum Turm, dem schiefen,
dann zur Bode, der gar tiefen.
Sieht darin die Kalilauge,
wischt Fred Oelßner aus dem Auge.

3.
Kostet in der Brauerei
wie das Bier geraten sei.
Und am Ende langt er dann
wohl in unsrer Penne an.

4.
Früh am Tag die Straß' entlang
hört er es wie Schlagersang,
zwar nicht schön, doch lang und laut,
hätt' er uns nie zugetraut.

5.
Aus der Klasse Zwölf-Be-Zwei
tönt ein lauter tiefer Schrei:
"Es war ein König in Thule".
Da verläßt er eilig die Schule.

6.
Will bei einem freundlich Hellen
glätten des Gemütes Wellen.
Und bei "Gröst", nicht weit vom Haus,
ruht er sich ein Stündchen aus.

7.
Mit dem Alkohol im Magen
kann er neuen Vorstoß wagen.
Schleicht ganz leise durch den Flur,
lauscht am Schlüsselloche nur.

8.
Vor der Klasse Zwölf-Be-Zwei
hört er dann so allerlei:
Bänke krachen, Scheibe klirrt,
weil ein Schwamm durchs Zimmer schwirrt.

9.
Mädchen schrei'n, man glaubt es kaum:
Es fliegt Kreide durch den Raum.
Dieses läßt ihm keine Ruh',
geht hinein zum Interview.

10.
Er ist neugierig von Haus,
und fragt nun die Schüler aus
über ihre lieben Lehrer -
doch er trifft nicht nur Verehrer.

Was dem Manne man erzählt,
sei auch Ihnen nicht verhehlt:

11.
Als zur Schule wir gekommen,
war das Herz uns sehr beklommen.
Doch Herr REICHEL mit Bedacht
hat es wieder leicht gemacht.

12.
Algebra und Arithmetik
sind zwar schwierig, doch sehr nötig.
Diese und Geometrie
lernten wir so schnell wie nie.

13.
Sportlich führt' er uns zur Höh'
war mit uns am Arendsee.
Ist ein wirklich guter Lehrer,
Muskel- und Verstandesmehrer.

14.
Hat drei Jahre uns geführt,
wurde plötzlich delegiert.
Allen tat der Abschied weh,
als er ging zur Ka-Vau-Pe.

15.
Vor 'nem Jahr Herr BEUTEL kam,
uns in seine Obhut nahm.
Dieser Herr ist gut und mild,
und er wurde selten wild.

16.
Doch so manchmal sprach er dann:
"Kinder, hört mich einmal an!
Traurig ist, daß ihr nichts macht,
übers Abitur nur lacht.

17.
Früh am Morgen Schularbeiten -
heißt das wohl, sich vorbereiten?
Wenn die Mädchen dauernd quasseln,
werden sie durchs Abi rasseln!"

18.
Ja, er ist sehr klug und weise,
ging mit uns auf Ferienreise
mit Appell und Fahnenspruch -
hatte selbst davon genug.

19.
Montag und Samstag kurz nach zehn
ist auf unsrem Hof zu seh'n
stets 'ne wüste Drängelei -
Schüler eilen flink herbei.

20.
Ganz zuletzt mit raschem Schritte
tritt Herr KERBER in die Mitte.
"Hurtig, hurtig zum Appell!"
ruft er dann, "Nun seid mal schnell!

21.
Schüler stehen im Quadrat,
Linien sind nie richtig grad'.
Und die Mädchen aus den Klassen
können's Schwatzen gar nicht lassen.

22.
Stillgestanden ohne Klappen,
Augen links, die Flagge hoch.
Fahnenspruch und weggetreten:
wie im Frieden geht das noch.

23.
Des Direktors Stellvertreter
war im Kriege Sanitäter,
der als Sanitätssoldat
manches Land gesehen hat.

24.
Die Geschichte lehrt er nun,
Schüler meist was andres tun.
Worauf er bedächtig spricht:
"Nu, nu, nu, so geht das nicht!"

25.
"Das Kollektiv," so sagt er richtig,
"ist bei der Schularbeit sehr wichtig."
Oft läutete die Glocke schon,
Herr FRÄSDORF führt die Diskussion.

26.
Fräulein CISIELSKY, elegant,
in die Klasse kommt gerannt.
Analog zur vorigen Stunde
schaut sie wieder in die Runde.

27.
Mathematisch exakt bringt sie uns bei,
was Stacheldraht im Nahkampf sei,
wenn man um den Bauch ihn windet.
Herr SEIBT dies sehr bestechend findet.

28.
Die English-Miss, THUSNELDA genannt,
ist uns allen wohl bekannt.
Zieht jeden Tag was andres an.
Ihr höchster Wunsch ist wohl ein Mann.

29.
Sie stammt zwar nicht aus Liliput,
ist doch in English very good.
Ihr folgend denkt ein jeder Mann:
das ewig Weibliche zieht uns hinan!

30.
Damit, liebe Leidgenossen,
geht es weiter unverdrossen.
Hört nun ominöse Kunde
von der beliebten Russisch-Stunde.

31.
Denn wenn Fräulein LEOPOLD
mit den schönen Augen rollt,
ist die Stunde schnell herum,
doch in Russisch bleibt man dumm.

32.
Errötend folgt er ihren Spuren
in der Stadt und in den Fluren.
Darum sei er hier erwähnt:
Herr KOWOLIK, den jeder kennt.

33.
Wenn er vor der Klasse sitzt,
vor Angst ein jeder Schüler schwitzt.
Überlegst du breit und lange
an der Karte dort und hier,

34.
kommt gar bald die Klapperschlange
und verpaßt dir eine Vier.
Orte, die wir nie gehört,
werden von ihm aufgestört.

35.
Witze macht er, viele, schlechte,
Schülerinnen ist's das rechte.
Eine Lage schmeißt er gern,
das ist dann was für die Herrn.

36.
Ignaz sitzt vor den Kadetten
mit 'ner Glatze und Kotletten
und erhob'nem Zeigefinger.
Dann ertönt durchs Klassenzimmer:

37.
"Höret ja, ihr lieben Jungen,
Rauchen schadet euren Lungen,
ebenso den Alkohol,
meide jeder Schüler wohl.

38.
Mit Handschuh'n, Brille und Bedacht,
wird ein Experiment gemacht.
Ging die Sache einmal schief,
die Schüler er um Hilfe rief.

39.
Diese konnten in den Dingen
stets 'ne bess're Lösung bringen.
Seine liebsten Beschäftigungsdinge:
Atavismen, Knochen, Schmetterlinge.

40.
Mit Geknatter und Getobe
kommt von Bernburg unser Mope.
Als Begleiter zum Ostseestrand
er uns zur Verfügung stand.

41.
Daß das Nacktbad war geschlossen,
hat ihn damals sehr verdrossen.
Von den Mädchen sehr verwöhnt,
ist er heute ausgesöhnt.

42.
Längst vergangen sind die Tage,
als er uns mit mancher Frage
aus der Welt Vergangenheit
brachte in Verlegenheit.

43.
Wenn die Tür er aufgerissen,
Tasche auf den Tisch geschmissen,
jeder Schüler wissen muß:
REDLICH gibt heut' nur "Drei plus".

44.
Käp'ten FRANZ mit Seemannsblick,
Krawatte neu und Anzug schick,
wie Valente singen kann -
Zeichenlehrer ist der Mann.

45.
Herr Doktor stets mit Wort und Tat
für Ordnung sorgt von früh bis spat,
Das Schneeballier'n verboten ist,
auch fordert er, daß man ihn grüßt.

46.
Er rät so mancher Lore
"Denk' nicht nur an Amore!"
Ist uns'rer Schule Krone,
und Vorbild seinem Sohne.

47.
Der Opa ist ein guter Mann,
auch wenn er nur schlecht hören kann.
Die Kamera, die liebt er sehr,
jedoch sein Pfeifchen noch viel mehr.
Das Stöckchen hebt er mit Bedacht
und sagt: "Das habt ihr schlecht gemacht!"

48.
Um zu zahlen Alimente,
braucht der Schüler seine Rente.
Bei Frau FLÜGEL gibt es diese
unentbehrliche Devise.

49.
Sogar im Keller haust ein Mann,
den man nur schwer entbehren kann.
Schüler haben ihm im Leben
viele Namen schon gegeben.

50.
Fußball trieb er einst mit Kraft,
das ist seine Leidenschaft.
Züchtet Hühner unterm Haus,
holt sie jeden Morgen raus.
um zu mästen sie im Garten -
schwierig ist das Hühnerwarten.
Und der Mann treibt nebenbei
auch noch die Hausmeisterei.

VERMISCHTES

Aufstand in der Oberschule.
Wie nach amtlichen Informationen verlautet, erhoben sich am Dienstag, dem n.n. sämtliche Schüler der Staßfurter Oberschule und verließen auf ein verabredetes Zeichen das Schulgebäude. Einige Lehrer schlossen sich ihnen an. Das geschah Punkt 13:00 Uhr.
Aus dem Sport
Unser unersetzlicher Mittelstürmer, Graf Stinnes von Sülze, genannt Old Wabbelin, kam im Trainingslager Chossewitz zu unvergleichlichen Erfolgen! Er schoß an einem Abend zwei Tore und beschloß daraufhin, zum Sportclub Turbine Erfurt zu wechseln. Die Klasse 12B2 wird sich von diesem Verlust nie erholen.
Nachruf
Mit dem Scheiden der 12B2 erlitt das Sportleben der Oberschule einen Schlag, von dem es sich kaum erholen wird. Woher sollen wohl jemals so lange Männer wie H.D., so flinke wie H.W., so unersetzliche wie E.L. und J.O., und so schöne wie E.Sch. und H.M. kommen? Das Niveau des Faust- und Volleyballspiels wird sinken und nie wieder seine einstige Höhe erreichen können, und noch lange Zeit wird man von den sagenhaften Gestalten sprechen, die sämtliche Rekorde brachen.

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Abschiedswort an die Oberschule

Geliebte Lehrerschaft!
Wertgeschätzte Eltern!
Betrauerte hinterbleibende Leidensgenossen!

Nachdem wir vier Jahre lang so getan haben, als täten wir etwas, während wir doch tatenlos die Tätlichkeiten unsrer tatenlustigen Lehrerinnen und täterischen Lehrer über uns ergehen ließen, haben wir beschlossen, die Schule zu verlassen. Dieser Beschluß wurde nicht ganz einstimmig gefaßt - aber wir sind ja schließlich nicht die Volkskammer.
Folgende Gründe bewogen uns zu unserem folgenschweren Entschluß:

    1. In vier Jahren hat die Schule aus lebensfrohen Mägdelein und heiteren Knaben eine Schar sauertöpfischer ältlicher Jungfern und griesgrämiger Mummelgreise gemacht. Es ist zu befürchten, daß innerhalb eines fünften Oberschuljahres die Mumifizierung der Mehrzahl der Schüler eintreten würde. Dieser Gefahr gilt es vorzubeugen, da Mumien keine Aufgaben beim Aufbau des Sozialismus erfüllen können.

    2. Trotz mehrfacher Vorschläge ist die Hausordnung unserer Schule noch nicht wesentlich geändert worden. Es ist anerkennenswert, daß wir an und zu zwei Schultagen in der Woche keine Hausaufgaben erhalten durften. Dieses kam uns z.B. im Fach Chemie sehr zugute. Es bliebe jedoch zu wünschen, daß nur noch soviel Hausaufgaben aufgegeben werden, wie sie in den kleinen Pausen erledigt werden können.

    3. In unserer Schule läßt die Sorge um den Menschen sehr zu wünschen übrig. So sind z.B. die älteren Semester gezwungen, täglich mehrmals die Treppen des Hauses zu erklimmen. Ein Fahrstuhl würde die Schularbeit zu einer noch größeren Freude machen.

    4. Weiterhin besteht die Unsitte, daß schlafende oder träumende Schüler unsanft durch plötzlichen Anruf geweckt werden. Die Lehrer scheinen sich dabei gar nicht bewußt zu sein, zu welchen Störungen des kindlichen Nervensystems das führen kann. Hier muß schnellstens eine Änderung eintreten. Wenn ein Schüler zur Fortsetzung des Unterrichts benötigt wird - aber nur dann - so darf er nur durch zärtliche Nennung seines Kosenamens aus dem Reich der Träume auf den Boden der Realität zurückgeholt werden.

    5. Der letzte Grund ist mit einem Wort gesagt: GELD!

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Letzte Änderung 30.08.2007


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