Vereinigte Emiratische Impressionen

01: Flagge der Vereinigten Arabischen Emirate

Acht Wochen Aufenthalt in einem fremden Land sind für einen gewöhnlichen Menschen zu wenig Zeit, um sich ein begründetes Urteil zu bilden. (Ungewöhnliche Menschen können freilich ihre Urteile bilden, ohne je die Luft eines Landes geatmet und seinen Bewohnern ins Gesicht und auf die Hände geschaut zu haben – und mancher lebt Jahrzehnte in „seinem“ Land, ohne die Fähigkeit und die Kraft, seine in der Kindheit gebildeten Vorurteile zu korrigieren.)

Ich will nicht verschweigen, dass bei allem Bemühen um Unbefangenheit einige Vorurteile über islamische Monarchien (die Emirate, das mit der BRD besonders eng befreundete Königreich Saudi-Arabien, das Sultanat Oman) meinen Blick trübten und vermutlich auch noch trüben. So ganz frei ist man wohl auch nicht von der deutschen Erbkrankheit, die Welt am eigenen Maßstab nicht nur zu messen, sondern auch verbessern zu wollen – den Sudanesen zu erklären, wie sie sich vor dem Sonnenbrand schützen, den Eskimos verbindliche Ratschläge zur Vermeidung von Erkältungskrankheiten zu erteilen und die Chinesen über Demokratie und Menschenrechte zu belehren.

Mit der vereinigten emiratischen Bürokratie hatte ich schon vor Jahresfrist Erfahrungen gesammelt, als eine deutsche Geburtsurkunde vom Konsulat in Berlin bestätigt werden musste. Und jetzt jagte uns beim Einchecken in Tegel der Mann von Air Berlin (nach unserer Ausreise zu fast 30 Prozent Eigentum der emiratischen Etihad Airways geworden) einen Schrecken ein: wir hätten den Rückflug für Ende Januar gebucht, bekämen aber in Dubai ein Visum nur für 30 Tage.
Da wussten wir noch nicht, dass ein Visum für 60 Tage erhält, wer in Abu Dhabi landet – hätte uns aber auch nichts genützt. Das Problem hätte sich mit viel Geld für die Verlängerung des Visums in Dubai lösen lassen. Wir zogen dann aber eine Fahrt durch die Wüste ins Sultanat Oman vor, ließen an der Grenze die Ausreise aus Dubai stempeln und erwarben bei der Einreise das auf 30 Tage befristete Touristenvisum für das Sultanat, bei der erneuten Einreise erhielten wir wenige Minuten später unentgeltlich ein neues Visum der Emirate für 30 Tage. Kafka lässt grüßen.

Die bestimmenden Eindrücke in Dubai sind einmal der Kontrast zwischen den grünenden und blühenden Siedlungen und der übergangslos angrenzenden Wüste, und zum anderen die Hochhäuser mit ihrer teilweise bizarren Architektur.
Die grünen Siedlungen habe ich vor Jahren in einem anderen Land gesehen. Aber dort haben die Siedler nicht die Wüste zum Blühen gebracht, sondern das Land auf den beherrschenden Hügeln und das Wasser der Ebenen geraubt, weshalb sie ihre Siedlungen mit hohen Zäunen umgeben und sich von schwer bewaffneten Soldatinnen und Soldaten bewachen lassen müssen und von den rechtmäßigen Eigentümern gefürchtet und gehasst werden. Erich Frieds (1921-1988) Gedicht von 1972 drängt sich bei der Erinnerung an diese anderen Wüstenbezwinger auf:

Bezwinger der Wüste

Simon der Kameramann
sieht die Planierraupen die
die letzten Trümmer
der Araberhäuser zermalmen

und sieht die Erde
die Gurken hervorgebracht hat
Tomaten Wassermelonen
und da und dort einen ölbaum
aufreißen und verderben

Zementstaub auf Lehmstaub
Staub auf staubiges Grün
auf staubiges rosa Erdreich

und sagt: „Bevor die Juden
die Wüste bezwingen können
müssen sie hier die Wüste
erst selber machen.

Wenn man durch die „Green Community“ [Google Earth 25° 00´ N 55° 09´O] mit ihren höchstens einstöckigen, von Gärten umgebenen Villen, entlang an künstlichen Seen durch die Parks mit ihren hohen Schatten spendenden Bäumen spaziert, dann drängt sich der Gedanke auf, dass hier die Wüste begrünt wurde (freilich werden die Umweltschützer fragen, ob hinreichend Reservate für die vertriebenen Sandflöhe geschaffen wurden), während zu Hause hochwertiger Bördeboden mit Straßen, Neubausiedlungen und Gewerbegebieten versiegelt und damit vernichtet wurde. (Über die Umweltpolitik der Emiratis, die vom Emir Schaich Zayid (englisch: Zayed, gesprochen Saïd) inspiriert wurde, findet man Interessantes in einem Aufsatz von Helge Sobik: Der Traum des Scheichs)

02: Green Community West
03: Ein paar Kilometer weiter

Ob man in den Hochhäusern beispielsweise in Dubai Marina wohnen oder arbeiten möchte, ist eine andere Frage. Vor vielen Jahren, als die Leipziger Universität noch den Namen Karl Marx trug, stand mein Schreibtisch im 21. Stock des Hochhauses, das damals für die Universität erbaut worden war, und wenn es auf dem Weg zur Arbeitsstelle Probleme mit der Straßenbahn gegeben hatte und ein Besprechungstermin anstand, musste ich zuweilen die Treppe nehmen, weil die Schlange vor den Fahrstühlen zu lang war. Das schafft Vorurteile gegen Hochhäuser.

04: Eine der Skylines von Dubai

Die wurden hier beim Auf- und Abstieg im Burj Khalifa, dem (noch) höchsten Turm der Welt, stark abgebaut. Wenn man unten in einer der Hochhausschluchten steht, kommt sich so klein vor, wie in den alten Zeiten die Leute vor oder in einem Dom. Das ist wohl beabsichtigt bei allen den höchsten, größten, längsten, verrücktesten und teuersten Dingen hierzulande - wie der zweitgrößten Moschee der Welt mit dem Mausoleum für den Gründer der emiratischen Union Schaich Zayid, und in der Moschee dem größten Gebetsteppich der Welt (der aber trotz aller Bezüge zu den Märchen aus 1001 Nacht nicht selbst fliegen kann, sondern eingeflogen werden musste).

05: Zweitgrößte Moschee - größter Gebetsteppich

Freilich ist Rationalität den Hochhaussiedlungen nicht abzusprechen (eben so wenig wie den so heftig geschmähten Neubausiedlungen der DDR, an die ich hier häufig erinnert werde) – dieselbe Menge Räume vertikal statt horizontal in die Wüste gebaut, würde vermutlich eine Menge infrastruktureller Probleme bereiten.

06: Straßenkreuzung im Schatten des Burj Khalifa

Stichwort Infrastruktur: wer da meint, Deutschland sei der Weltmeister im Autobahnbau, sollte sein Urteil in Dubai überprüfen. Auch die hiesige Metro ist ein wahres Wunderwerk der Technik; die Gleise liegen auf Stelzen über allen anderen Fahrbahnen und Brücken, sie arbeitet ohne Fahrzeugführer, in den Stationen sind die Gleise vom Bahnsteig durch eine Wand getrennt, die sich erst öffnet, wenn der Zug gehalten hat (in Kiew lernte ich dies System zur Verhinderung von Unfällen und Selbstmorden schon vor einem Vierteljahrhundert kennen). Die Metro dürfte für viele Bewohner des Landes in Kombination mit den Autobussen eine Alternative zum Autoverkehr bieten.
Freilich nicht für die Wohlhabenden und Reichen, die ihren Wohlstand mit einem Wagen demonstrieren wollen oder müssen. (Die teuersten Schlitten werden deshalb auf den Gehsteigen geparkt.) Und die ganz Armen, die Garten- und Straßen- und Bauarbeiter und die Hausangestellten, die Maids) haben bestenfalls ihr Fahrrad. Dabei ist anzumerken, dass offiziell auch die ganz Armen ein sicheres Einkommen aus Arbeit nachweisen müssen, andernfalls werden sie in ihre Heimatländer abgeschoben, wenn sie nicht in ein von Gefängnis und Abschiebung bedrohtes Leben in der Illegalität abtauchen.
Wir sind nur einmal mit der Metro und gar nicht mit einem Bus gefahren, haben aber eines der klimatisierten Wartehäuschen an einer Bushaltestelle inspiziert.

07: Bus-Wartehäuschen

Die Fahrt mit der Metro vom Dubai Creek [http://de.wikipedia.org/wiki/Dubai_Creek] nach Dubai Marina wird in Erinnerung bleiben, weil mir ein junger Man seinen Sitzplatz anbot, obwohl einige Frauen nur einen Stehplatz hatten. Nachdem ich mich nach einigem Widerstreben gesetzt hatte, fiel mein Blick auf ein Logo, das ein gebeugtes Ehepaar am Krückstock zeigte, die rüstigen Passagiere zur Rücksichtnahme auffordernd. Der höfliche junge Mann muss wohl bei mir einen Grad der Demenz vermutet haben, bei dem man seinen Krückstock irgendwo vergisst.

08: Lasst die Alten sitzen!

Arme Emiratis gibt es angeblich nicht (der Beduine, der unsere Kamele führte und allem Anschein nach ein Eingeborener war, gehörte aber schwerlich zu den Wohlhabenden), die Emiratis stellen nach einer Angabe, die ich kurz vorm Abflug in The National fand, nicht einmal zwölf Prozent der Einwohner.
Dass die Familien der Scheichs über einen für unsereins unvorstellbaren Reichtum verfügen, ist kein so gut gehütetes Geheimnis wie der Reichtum des einen Prozent der deutschen Staatsbürger, die an der Spitze der Vermögens- und Einkommensskala stehen. Der Unterschied scheint zu sein, dass die reichen Herrscher dieses Morgenlandes dafür sorgen, dass es auch ihren Mitmenschen gut geht. Man könnte Dubai als Bestätigung der neoliberalen Pferdeäpfeltheorie empfehlen (je besser die Reichen gefüttert werden, um so mehr Haferkörner finden die Armen in deren Exkrementen), müsste aber wohl eine einschränkende Bedingung machen: die Theorie funktioniert nicht in den christlichen Staaten des Abendlandes und der Neuen Welt, wie der Abbau des Sozialstaats bzw. der Armutsbericht in der BRD und die sozialen Verhältnisse in den USA zeigen.

Dass in den Emiraten Menschen unter Bedingungen leben und arbeiten, die sich nur wenig von der Sklaverei unterscheiden, ist zu beklagen – allerdings sollten sich Leute mit einer Kritik zurückhalten, die Harz IV und Ein-Euro-Jobs für den Gipfel der Sozialstaatsentwicklung halten.
Weder im World Factbook der CIA, noch auf der deutschen und der englischen WIKIPEDIA-Seite für die Emirate ist das Wort „Sklaverei“ zu finden, ich meine aber irgendwo gelesen zu haben, dass diese Art Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis offiziell erst in den 60ern abgeschafft wurde. Das Nachbarland Oman war das letzte der Welt, als es 1970 die Sklaverei offiziell per Gesetz beendete.
Von den knapp einer Million Emiratis dürfte ein beträchtlicher Teil in der Kindheit und Jugend den Umgang mit Sklaven als ganz selbstverständliches Verhältnis zwischen den von Gott Auserwählten und den Verdammten dieser Erde erlebt und praktiziert haben.

In Dubai sieht man sehr unterschiedlich bekleidete Frauen. Am (künstlichen) Strand von Dubai Marina versteht man, warum manche Araber die Vollverschleierung mancher Europäerinnen als Forderung nach mehr Zivilisation verstehen. Auf den Straßen und in den Supermärkten kann man Damen jeden Alters in kurzen Hosen und solche in schwarzen Gewändern, den Abayas - zuweilen sogar ohne Sehschlitz im Gesichtsschleier, der Burka – sehen, und dazwischen die verschiedensten Be- und Verkleidungen. (In Dubai nennt man die schwarzen Gewänder der Frauen, die hierzulande und bei WIKIPEDIA Burkas heißen, Abayas. Burka heißt in den Emiraten – angeblich – nur ein Teil zur Bedeckung des Gesichts; wir sahen das ein paar Mal bei ganz alten Frauen am Creek - eine Maske aus Metall (Gold?) vor allem zur Verhüllung der Nase. Bei WIKIPEDIA wird Abaya definiert als „schwarzes mantelartiges Übergewand aus Schafwolle oder Kamelhaar, das vom Hals bis zu den Füßen reicht“. Solch Gewand ward mir aus dem Libanon zuteil.

09-12: Hauptsache schwarz!

Wenn Menschenrechtler im Namen der Frauenrechte einen Kampf gegen Kopftuch und Burka führen, sollte ein Besuch in den Emiraten sie davon überzeugen, dass auch ein Kampf im Namen der Männerrechte gegen die Gewänder und Kopfbedeckungen des anderen Teils der muslimischen Menschheit geführt werden sollte. Die Begleiter der schwarz verhüllten Frauen sind oft weiß verhüllte Männer mit Kopftuch oder einer anderen Kopfbedeckung. Das bis auf den Boden reichende hemdähnliche Gewand zwingt den Mann zu würdiger Haltung und gemessenen Schritten, es eignet sich aber nach eigener Erfahrung nicht für einen Kamelritt. (Man belehrte mich mündlich und schriftlich, dass das weiße Gewand der Männer Dischdascha heißt, bei WIKIPEDIA erfahre ich jedoch, dass der Thawb nur in Oman, Kuwait und Katar so genannt wird, in den Emiraten aber Kandura.)

Es versteht sich, dass man als EU-Bürger nichts gegen Monarchen einzuwenden hat, weder gegen Könige und Großherzöge, noch gegen Scheiche und Sultane. Was für die muslimischen Herrscher hierzulande spricht, sind die Münzen, Banknoten und Briefmarken. Wer sich für Geldzeichen des noch bestehenden Eurolandes interessiert, der weiß, dass die meisten (oder alle?) christlichen Herrscher von Gottesgnaden ihr Konterfei auf der nationalen Seite der Münzen sehen wollen. Einige Noch-Nicht- oder Nimmermehr-Eurorepubliken huldigen auf den Banknoten in Ermangelung eines lebendigen gekrönten Hauptes und voller Sehnsucht danach den ehemaligen königlichen Herrschern mit deren Porträts. Auf den Geldscheinen und der aktuellen Briefmarkenserie der Emirate fand ich als wiederkehrendes Motiv nur den Falken, das Wappentier der Emirate, auf der Dirham-Münze eine Kaffeekanne, das Symbol arabischer Gastfreundschaft, auf der 50-Fils-Münze drei Bohrtürme und auf der 25-Fils-Münze eine Gazelle. Die 1-Fils-Münze (Wert ca. 1/5 Euro-Cent) wird nicht mehr herausgegeben, die 5- und die 10-Fils-Münzen (mit Schiff und Fisch) bekommt man beim Einkaufen nicht zu sehen - beim Bezahlen wird ohne zu fragen auf- oder abgerundet. (So wird man bei jedem Einkauf an die freiheitlich-demokratisch-marktwirtschaftliche Errungenschaft der Preise mit den obligatorischen 99 Cent hinterm Komma erinnert.)

13: 1000 Dirham - ca. 200 Euronen
14: Ein Dirham
15: Briefmarken
16: Wappen der VAE

Wer sich für das Alltagsleben der deutschen Expats in Dubai und ihr Zusammenleben mit den Emiratis und den Expats der Mittelklasse aus anderen Staaten interessiert, sollte „1001 Deal. Erfolgreich in Dubai - ein Blick hinter die Kulissen der Glitzerwelt am Golf“ von Tewe Pannier lesen. (Tewe Pannier war mein Leiharbeitgeber, als ich am Heiligabend für seine Kinder den Weihnachtsmann spielte.) Das Buch wurde vor ein paar Jahren geschrieben, als der Dichter und Emir von Dubai, Scheich Mohammed, noch der Erbauer und künftige Eigentümer des immer noch höchsten Turms der Welt war, der im Buch „Burj Dubai“ genannt wird. Inzwischen riss eine Krise das Emirat Dubai in die Schulden, der Emir Abu Dhabis, Scheich Khalif, übernahm Schulden und Turm und gab letzterem seinen Namen: Burj Khalifa.

17: Tewe Pannier: 1001 Deal


Ein Ex-Banker, der ungefähr zwanzig Jahre in Dubai gelebt hat, also die Verwandlung der Wüste, den wirtschaftlichen Aufstieg und die Krise mit ihren Folgen vor Ort erlebt hat, meinte, vor 20 Jahren habe ein Millionär noch zur Oberschicht gehört, später musste man Milliardär sein, heute müsste das man schon Billionär sein, um dazuzugehören. Das bedeutet für unsereins, dass wir hier mit den Millionären und Milliardären zur selben Gruppe der Underdogs gehören. Ist doch schön – oder?

Demselben Banker verdanke ich auch die Information über die hiesige fortschrittliche Rechtsstaatlichkeit: wenn dein Nachbar oder ein anderer feindlich Gesinnter dich eines Verbrechens beschuldigt, wirst du erst mal eingesperrt. Dann hast DU DEINE UNSCHULD zu beweisen. Bei uns gilt innerstaatlich noch der veraltete Grundsatz, dass ein Gericht, ausgehend von der Unschuldsvermutung und dem versuchten Nachweis der Schuld durch den Ankläger, die Schuld eines Angeklagten festzustellen hat. Nach der Losung, „Vorwärts, es geht zurück!“, hat die Kanzlerin unlängst deutlich gemacht, dass die Emirate uns in der Rechtsprechung ein Vorbild sind, als sie von der Regierung des Iran den Beweis dafür forderte, dass sie keine Absichten zum Bau einer Atomwaffe zu habe. Andernfalls drohe das Inkrafttreten des öl-Embargos.
Das wurde ja nun von der EU so einstimmig beschlossen, wie in den alten Zeiten einstimmige Beschlüsse im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe gefasst wurden.
Als Antwort auf das Embargo haben einzelne Politiker des Iran eine Sperrung der Straße von Hormus ins Gespräch gebracht, die zehn Tage lang unter Einsatz von Raketen in einem Manöver („war game“ war in der hiesigen Presse zu lesen) in dieser Meerenge geprobt wurden – ungefähr 130 km von der Green Community entfernt. Und als Gegenantwort drohen militärische Maßnahmen der USA, deren Marineverbände inzwischen im Persischen Golf vor Anker liegen oder herumschwimmen - wenn nicht vorbeugend der lange angekündigte Militärschlag der einzigen Demokratie im Nahen Osten auf die iranischen Nuklearanlagen die zeitliche Abfolge verändern wird. Aber das wäre ja weitab von Deutschland und würde kaum jemanden auf die Straße treiben. Auch hier verhält man sich wie die Passagiere der Luxusklasse auf der Titanic und schilt mich einen schwarzen Pessimisten, als hätte es die Kriege gegen die Schurkenstaaten Iran, Afghanistan und Libyen nicht gegeben.

Mit der Bevölkerung Dubais sind wir zwei Mal in Tuchfühlung gekommen.
Das erste Mal beim Pferderennen auf dem Jebel Ali / Dschbal Ali Rennplatz.
Das ist hier wohl immer ein großes Volksfest, kostet keinen Eintritt (wie es auch keine Park- und keine Klogebühren gibt), man braucht nur ein Fahrzeug und die Geduld, den Weg und dann einen Parkplatz zu finden. Das Rennen selbst ist für mich weniger interessant – ich entwickle trotz aller bäuerlichen Vorfahren nur Gefühle fürs Pferd, wenn seine Leichenteile gut gebraten auf dem Tisch stehen.

18: Welcome
19: Am Vorführring


Aber das Publikum! Bisher hatte ich in allen den Wochen des Hierseins nie das Gefühl, wenigstens in Sichtkontakt zu den „richtigen“ Einwohnern der Emirate geraten zu sein. Auf den Autobahnen sieht man Autos, in den Malls, die wir besuchten (z.B. der Dubai Mall, dem Souk Al Bahar, der Dubai Marina Mall, der Mall of Emirates, der Ibn Batuta Shopping Mall und der Mercato Mall), sieht man Touristen, Expats und Emiratis, also Vertreter der Oberschicht - die Arbeiter in den Grünanlagen und die Maids auf den Spielplätzen sind unter den Käufern nicht zu finden, und auch die untere Mittelschicht verirrt sich wohl eher selten in diese teuren Regionen. Aber auf den Rängen und dem Rasen des Rennplatzes tummelte sich das bunte Volk Dubais – betagte Männer und Frauen und ganz kleine Kinder, Hautfarben in allen Schattierungen, wenn auch überwiegend dunkel, Kleidung meistens Abayas und Kanduras, Kopfbedeckungen der Männer in einer Vielzahl von Varianten.

20: Ehrentribüne
21: Fußvolk

Ein Teil des Publikums sitzt auf den Tribünen, die meisten lagern im Gras auf Unterlagen, die ein Zwischending zwischen Decke und Matratze sind. Die meisten Familien, Freunde und Freundinnen, die sich beim Rennen treffen und amüsieren, bringen die Dinger zusammengerollt mit und nehmen sie wieder mit nach Hause. Wenn man das sieht, versteht man, was Jesus meinte, als er zum Gichtbrüchigen sagte: Nimm dein Bett und wandle!

22: Schick mit Cap

Als wir an Zaun und Hecke standen, die die Rennbahn von den Zuschauern trennen, stellten sich zwei Frauen neben uns, beide schwarz gewandet, die ältere hatte auf dem Kopf nur das schwarze Tuch, die jüngere war bis auf die Augen verschleiert und trug auf dem Kopftuch das gelbe Basecap, das anlässlich des Jubiläumsrennens an jene Besucher verteilt worden war, die pünktlicher als wir erschienen waren.
Die ältere Frau suchte den Kontakt zu Lucy, die auf den Schultern ihrer Mama saß, konnte sie aber nicht bewegen, ihren Namen zu verraten. Das tat dann Horace, nachdem die jüngere Frau ihm die Hand gegeben und ihm ihren Namen genannt hatte. Mit uns hatten die Frauen englisch gesprochen, die jüngere redete arabisch auf Horace ein, der das nicht verstand. Beide waren erstaunt, dass sein Vater kein Araber ist und ließen sich erklären, woher wir kamen, wie unsere Familienverhältnisse zu den Kindern und untereinander wären und von wem Horace sein Aussehen geerbt habe.
Nachdem die beiden Frauen sich auf ihren Platz zurückgezogen hatten, erschien die ältere noch einmal mit einem Papiertaschentuch und putzte Lucys Rotznase (die der Großvater übersehen hatte, der sonst den Nasenreinigungsdienst bei den Enkeln übernimmt).
Vermutlich hätten die Frauen auch nichts dagegen gehabt, wenn ich um eine Fotoerlaubnis gebeten hätte. Aber so weit wollte ich die Probe auf den Grad der Emanzipation dann doch nicht treiben und habe nur ihre Rückseiten fotografiert. Ich hatte eher daran geglaubt, einmal auf einem Kamel zu reiten – welchen Wunsch ich mir unlängst erfüllte - als jemals mit einer Frau zu sprechen, von der man außer den Augen nur die Abaya zu sehen bekommt.

Am Tag darauf waren wir auf dem Rennplatz für Kamele und sahen, wie die Tiere trainiert werden. Es ist noch nicht gar so lange her, da wurden in Asien sechsjährige Knaben ihren armen Eltern abgekauft und als Kameljockeys missbraucht. Die Kinder wurden nur notdürftig ernährt, um ihr Gewicht möglichst niedrig zu halten. Das war ein Skandal, der einen Scheich wegen Unterstützung der Sklaverei fast in ein USA-Gefängnis gebracht hätte; aber am Ende erklärte sich das Gericht für nicht für zuständig (ein Scheich ist schließlich kein Terrorist). Man hat die Kinder dann durch Roboter mit Stöcken ersetzt, die auf dem Rücken der Kamele angebracht und – wie wir gesehen haben und mit Fotos belegen können - von Autos aus gesteuert werden, die neben der Rennbahn her fahren.

23: Achtung, Kamele!
24: Jockey Robbi 15


Ob tatsächlich heute noch Sechsjährige als Kameljockeys eingesetzt werden, wie behauptet wird, kann ich nicht beurteilen. Es ist allerdings schwer vorstellbar, dass sie in Dubai beim Training und beim Rennen auf den öffentlich zugänglichen Rennbahnen („unsere“ war 10 km lang) auf den Kamelrücken sitzen, ohne dass das einem Menschenrechtler auffiele.

Die zweite Tuchfühlung mit dem „Volk“ hatten wir am Abend, als aus Anlass unserer bevorstehenden Abreise das Wasser im Bassin unterm Burj Khalifa mit musikalischer Begleitung zum Spielen gebracht wurde.

25 - 27:
Wasserspiele unterm Burj Khalifa

Tausende Menschen waren gekommen, mehr als sonst an jedem Abend, wenn zwischen 19:00 und 23:00 Uhr dieses Schauspiel geboten wird. Böswillige Neider behaupten, die Leute seien gar nicht unseretwegen erschienen, sondern wegen des Shopping-Monats, in dem die Malls bis 24 Uhr geöffnet sind. Hier waren im Publikum die schwarz bekleideten, verhüllten Frauen und ihre weiß bekleideten Männer mit Kopftüchern oder Kappen in der Mehrheit.
Gar zu gern hätte ich ein Foto von einem solchen Mann und seinen vier ihn begleitenden Frauen geschossen. Es hätte so schön zu einer Story gepasst, die wir vormittags in der Zeitung gelesen hatten. Die ging so:
Ein Mann kam nach Hause und fand seine vier Frauen streitend vor, der Anlass war die Zuweisung eines Einzelzimmers an eine der Frauen, was den Neid und den Zorn der anderen hervorgerufen hatte, die alle Zimmer gemeinsam nutzen mussten. Da es anscheinend nicht der erste Streit zwischen den Frauen war und der Mann das ständige Gekeif satt hatte, trennte er sich kurz entschlossen von dreien Gemahlinnen. Diese Scheidung scheint juristisch keine Probleme bereitet zu haben, hatte aber ein Nachspiel. Eine der geschiedenen Frauen verklagte den Mann, er habe sie geschlagen. Der Mann bestritt das, wurde aber trotzdem verurteilt.

Für eine andere Frau ging ein Gerichtsverfahren übler aus. Sie war als Ledige von den Philippinen nach Dubai gekommen, hatte Sex mit wem auch immer (vielleicht sogar mit ihrem Arbeitgeber), bekam ein Kind, wurde von ihrem Arbeitgeber nach der Geburt des Kindes angezeigt und zu einem Jahr Gefängnis mit anschließender Ausweisung verurteilt. Ihr Kind, obwohl in Dubai geboren, erhält vermutlich nicht einmal eine Geburtsurkunde, auf gar keinen Fall eine Dubaier Staatsbürgerschaft. Bis vor kurzem konnten die Kinder aus Ehen zwischen einer Emirati und einem Ausländer keine Emiratis werden. Das wurde Ende 2011 dahin geändert, dass diese Kinder auch mit 18 Jahren die Staatsbürgerschaft des Emirats erhalten, dessen Bürgerin die Mutter ist.

28: Starbucks political correct

Auf Wunsch eines einzelnen Herrn suchte ich nach einer Starbucksfiliale und konnte schon am 16.12. melden:
Den Freunden wahren Kaffees zu Kenntnis: zwei Starbucks an der Promenade in Dubai Marina gesichtet. Kamera leider nicht dabei :(
Später entdeckten wir bei jedem Besuch einer der großen Malls mindesten ein Starbucks-Café, zwei davon waren in den Räumen einer Buchhandlung untergebracht.
Die zweite Meldung (vom 11.01.):
Auf der Suche nach der Bedeutung des Worts „Starbucks“ fand ich bei WIKIPEDIA:
Das Starbucks-Logo wurde aus Gründen der politischen Korrektheit über die Jahre geändert. Am Anfang war die Sirene noch barbusig. In der zweiten Version verdeckten dann Haare die Brüste, es war aber noch ein Bauchnabel zu sehen. In der Version ab 1992 ist auch dieser nicht mehr zu sehen. Seit 2011 wird die umlaufende Firmenbezeichnung weggelassen, die Sirene alleine bildet das Firmenlogo.
1971 eröffneten die Studienfreunde Gerald Baldwin, Gordon Bowker und Zev Siegl aus San Francisco im alten Hafen Seattles, am Pike Place 1912 das Kaffee-, Tee- und Gewürzgeschäft ‚Starbucks Coffee, Tea and Spice‘. Den Namen wählten sie in Anlehnung an den Steuermann Starbuck aus Herman Melvilles Roman Moby Dick.
1996 erste Standorte in den Vereinigten Arabischen Emiraten,
2001/2002: Starbucks gründet Gemeinschaftsunternehmen (Joint Venture) mit der KarstadtQuelle AG, die KarstadtCoffee GmbH – erste deutsche Starbucks-Kaffeehäuser in Berlin.
2004/2005: Starbucks’ deutscher Partner Karstadt gerät in finanzielle Schwierigkeiten, die Zusammenarbeit wird beendet und die KarstadtCoffee GmbH der amerikanischen Starbucks-Kette einverleibt.
In einem öffentlich bekannt gewordenen Memo von Schultz an die oberste Führungsebene im Februar 2007 beklagte er, dass ‚die Romantik und das Schauspiel verschwunden sind‘, die Läden hätten ihre Seele verloren. Die Vollmechanisierung des Brühprozesses, lange Warteschlangen und Sandwiches anstelle von Muffins trieben die Kunden von Starbucks zur Konkurrenz.
Starbucks hat 151 Filialen in Deutschland (Stand Juni 2011)“

(Da hatte ich überlesen:
„Die internationale Gewerkschaft IWW rief im August 2006 zum Boykott von Starbucks auf, nachdem vier ihrer Mitglieder, die der IWW Starbucks Workers Union angehörten, gekündigt worden waren. Bis zum Ende des Jahres 2006 erhöhte sich die Zahl der Gekündigten auf fünf IWW-Mitglieder.“)

Die letzte Meldung (vom 19.01.):
Da habe ich gerade meine erste Tasse Kaffee bei Starbucks getrunken, und muss nun lesen:
„Starbucks ist eines der Unternehmen, die Israel und besonders das israelische Militär unterstützen. Howard Schultz, Gründer von Starbucks, ist ein aktiver Zionist und Unterstützer Israels. Es ist bekannt, dass Einnahmen seines Unternehmens dem israelischen Militär gespendet werden.“
Da verblüfft es, dass man in Dubai nicht einreisen kann, wenn im Pass ein israelisches Visum zu finden ist, aber bei jedem Einkauf in einer der verschiedenen Malls stolpert man über mindestens ein Starbucks-Café.


Geschrieben im größten und teuersten Kunstwerk der Welt, das unablässig an Märchen aus 1001 Nacht und an den Turmbau zu Babel (Genesis 11, 1-9) erinnert,
Dubai, Green Community West, 10.12.2011-25.01.2012
24°59’49.11'' N 55°09’43.17'' Höhe 6 m

3 Tage und 1 Stunde Autofahrt (laut Google Earth) davon entfernt

überarbeitet und mit Links versehen
Im Winkel des uralten Atzendorf am 06.02.2012
51° 55' 07 11'' N 11° 35' 49 08''; O Höhe 83 m


Letzte Änderung: 13.02.2012