Ernst Herbsts
unveröffentlichte oder publizierte Leserbriefe, wohlwollende Besprechungen und wirkungslose Appelle


Wir brauchen kein Kriegsspielzeug!

Am 16.04.1957 erschien in der "Jungen Welt", seit 1947 das "Zentralorgan der Freien Deutschen Jugend", ein Bericht über eine Spielwarenkonferenz. Fred Oelßner, seit 1955 "Stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates und Vorsitzender der Kommission für Konsumgüterproduktion und Versorgung der Bevölkerung beim Präsidium des Ministerrates der DDR", und dazu seit 1956 Professor für Ökonomie am Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, hatte in seiner Rede angeregt, das Spielwarenangebot mit Kriegsspielzeug zu bereichern. So entstand mein erster - und wie viele folgende nicht veröffentlichte - Leserbrief.
Oelßner fiel 1958 in Ungnade und wurde aller Ämter und Parteifunktionen enthoben - ich war doch hoffentlich nicht der Mensch, der den ersten Stein auf ihn warf?
E. Herbst. 30.06.2008


Leipzig, 16.4.57

Liebe "Junge Welt"!

Seit einer ganzen Reihe von Monaten gilt täglich mein erster Gedanke Dir - gehört doch in meinem Haushalt das Zeitunglesen zwischen Zähneputzen und Kaffeetrinken. Und solange wir uns kennen - bis jetzt einseitig - hast Du mir bei jedem Erscheinen neu Freude bereitet.
Eigentlich traurig, daß ich diese Liebeserklärung erst von mir gebe, wenn ich etwas bemängeln will. Aber so was soll's ja geben.

Der Anlass für mein Schreiben ist Dein Artikel von heute (16.4.): "Schuld" war eine Verkäuferin.
Daß man sich bei uns ernsthaft um eine Verbesserung der Spielwarenindustrie bemüht, ist eigentlich kein Grund, der mich irgendwie bewegen kann - das Spielzeugalter (um nicht zu sagen die Kindheit) hat man ja mit 18 ziemlich überwunden, und an die eigenen Nachkommen brauche ich glücklicherweise noch nicht zu denken. Außerdem habe ich beim Betrachten der Auslagen um die Weihnachtszeit schon seit einigen Jahren (mit einer Träne im Knopfloch) feststellen können, daß man um einige Jahre zu früh geboren wurde. Denn zu meiner Zeit...
Vati arbeitete abends mit Schraubstock und Säge, um Spielzeug für den Nachwuchs herzustellen, Mutti bastelte mit viel Phantasie aus alten Strümpfen (damals warf man die Kunstseidenen nicht schon nach der ersten Laufmasche in die Lumpen, da waren sogar alte Strümpfe rationiert) längliche Monster, die wir dann notwendig für Puppen in Kauf nehmen mußten, und wir selbst verschafften uns Unterhaltung, indem einer auf täuschende Weine die Sirenen unseligen Angedenkens nachahmte und der andere sämtliche Spielsachen unter den Tisch schleppte und zu jammern begann: "Kommt, Kinder, es ist Fliegeralarm! Kommt schnell, sonst kriegt ihr eine Bombe ab!"

Tja, so war das. Und wenn ich jetzt etwas gegen das Kriegspielen habe, werdet Ihr das vielleicht verstehen.
Ich war ziemlich erschüttert als ich las, daß Prof. Oelßner die Meinung vertrat, man müsse die Kinder "so erziehen daß sie die harte Welt erkennen lernen". Und im Zusammenhang damit die Produktion von militärischem Spielzeug befürwortete.
Zu unterstellen, er habe hierbei mehr an die ökonomische als an die erzieherische Seite gedacht, liegt mir fern. (Obgleich es für einen Studenten der Wirtschaftswissenschaft nahe liegen sollte.)

Ist es wirklich notwendig, Kinder von vier, fünf oder sechs Jahren zum Kriegspielen zu erziehen? Wenn das Furchtbarste geschehen sollte, wenn ein Krieg ausbricht, ist das Sterben doch wohl auch nicht leichter, wenn man als Kind mit Spielzeugkanonen geschossen hat. Ist es nicht Zeit, wenn die Kinder zu Erwachsenen geworden sind, ihnen die grausame Notwendigkeit des Soldatseins zu erklären?

Um einmal etwas abzuschweifen.

Als wir den Tag der Volksarmee begingen, wurde in allen Zeitungen über das Leben der Freunde berichtet, die für uns auf Wacht stehen. Manchmal schien mir, als ob die Reporter in einen Ton verfielen, der verdammt an die alte Weise erinnerte "Es ist so schön, Soldat zu sein ..."

Bitte, halte mich nicht für einen Pazifisten und denke nicht, ich wüßte keinen Unterschied zwischen Volksarmee bei uns und NATO-Armee drüben zu machen.
Aber kann es wirklich irgendeinem humanen Menschen als schön erscheinen, die Heimat verteidigen zu müssen? Ich weiß - wir haben unsere Volksarmee, weil wir mit allen Mitteln einen neuen Krieg verhindern wollen. Weil ich das weiß, bin ich Mitglied der GST. Aber ich weiß auch, daß wir nicht Millionen Mark ausgeben, um junge Menschen der produktiven Arbeit fernzuhalten. Die Gefahr eines neuen Krieges droht - wem nützt es, davor den Kopf in den Sand zu stecken? Uns doch sicher nicht.
Aber was wird - besser, was müßte - in diesem Krieg geschehen? Wir müßten auf Menschen schießen, und wir müßten gut zielen, damit keine Kugel umsonst den Lauf verläßt. Wir mußten töten - Menschen wie uns, Söhne von Müttern, Väter von Kindern, die auch nicht viel mehr Schuld am Krieg hätten als wir.
Und deshalb sehe ich die Volksarmee wohl für eine notwendige Einrichtung an - niemals aber werde ich die Meinung vertreten können, es sei schön, in der Volksarmee zu dienen.

Doch zurück zu dem Artikel über die Spielwarenkonferenz.
Herr Prof. Oelßner stellte fest, daß die Kinder Flitzebogen und Katapulte BASTELN und daß es bisher nicht einmal die Pazifisten fertiggebracht haben, sie davon abzuhalten.
Abgesehen davon, daß ich mich an eine Zeit in meinem Heimatdorf erinnern kann, in der es kaum ein Katapult gab, weil ein konsequenter Schulleiter alle mit einem Gummi versehenen Astgabeln konfiszierte und den ehemaligen Besitzer wirkungsvoll zu belehren verstand. (Der Schulleiter war kein Pazifist!) Abgesehen also davon, frage ich Herrn Prof. Oelßner und mich, ob es bisher schon ein Mensch fertiggebracht hat, in einem kommunistischen Staat zu leben? Und doch arbeiten wir alle daran, daß es eines Tages so weit sein wird.

Wir leben doch in einem neuen Staat. Sollte es nicht über die Kindergärten und Schulen möglich sein, den Kampfgeist der Kinder (um ein bißchen geschwollen daherzureden) auf sportliche Wettkämpfe zu lenken? Ist es überhaupt ein Grund, etwas anzuschaffen bzw. zu fördern, weil die Abschaffung bzw. Unterdrückung nicht gelungen ist?

Ich würde mich sehr freuen, wenn Du mir Antwort auf meine Fragen geben würdest. Und freuen würde ich mich auch, wenn ich zu Weihnachten für meine kleinen Vettern einkaufen gehe könnte und nicht die Qual der Wahl zwischen ferngesteuertem Atombombenddüsenjäger und 5mm-Schnellfeuer-Spielzeug-Atom-Revolver hätte.


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Letzte Änderung 30.06.2008